..Ich fand die Geschichte total schön, und konnte mich für ein paar Minuten wegträumen...ist zwar etwas lang, aber wenn du etwas Zeit hast, musst sie unbedingt lesen - jedenfalls richtig schön wie der Autor schreibt - mag ich... =)
Die Nacht zeigt ihre
Reize.
Rumpelnd hielt der rote Schienenbus am Haltepunkt
Wakenmoor. Zischend öffnete sich die hintere Tür. Der Lichtschein
aus dem Inneren des Wagens fiel auf den Schotter des Haltepunktes und
beleuchtete ein paar Grasbüschel, die den Kampf, gegen den rauhen
Belag des dunklen Schotters, aufgenommen hatten. Zaghaft setzte sich
hier die Natur gegen einen von Menschenhand befestigten Untergrund
durch. Ein junger Mann stieg aus. Einen Augenblick blieb er stehen um
die Augen an die diffuse Helligkeit zu gewöhnen, die durch die
schwache Birne einer einsam stehenden Lampe verursacht wurde.
Die Wagentür schloß
sich hinter ihm. Der schwer arbeitende Dieselmotor setzte den
Triebwagen in Bewegung. Mit anhaltendem Läuten überquerte er den
Schienenübergang, der das Gehöft des Bauern Martens, mit seinen
verstreut liegenden Feldern verbindet. Die beiden rot leuchtenden
Rücklichter wurden schwächer und schwächer und verschwanden in
einer Rechtskurve, eines nach dem anderen.
Es kehrte Stille ein.
Absolute Stille. Ulf, der Mann aus dem Triebwagen, blieb stehen und
genoß ganz bewußt die Ruhe. Nach dem Geschaukel in dem Triebwagen
und den lauten Motorgeräuschen, war dieser Moment eine Wohltat. Das
war es, was er in dieser Nacht suchte, nämlich, Ruhe, Entspannung
und Empfindungen, die er in der Stadt nicht kennenlernen konnte, weil
es sie dort nicht mehr gab, weil die Natur in der Stadt auf wenige
laute Parkanlagen, Grünstreifen oder Balkonkästen reduziert war. Er
hoffte, daß die Natur ihm ihre Reize zeigt. Nun, nachdem der Zug im
Dunkel verschwunden war, glaubte er sich losgelöst von der
Zivilisation und fühlte sich eingebettet in die alles umhüllende
Nacht.
Die Lampe, die eben
noch den Haltepunkt ausleuchtete, verlosch. Ulf nahm den Rucksack auf
und schulterte ihn über. Zielstrebig überquerte er den kleinen
Platz, der sich hinter dem Haltepunkt ausbreitete. Er bog nach rechts
auf den Weg, der ihn in einem großzügig abgesteckten Radius durch
die Nacht begleiten sollte. Am nächsten Morgen, kurz nach
Sonnenaufgang wollte er wieder am Haltepunkt eintreffen.
Eine Weile führte der
Weg zwischen abgemähten Wiesen hindurch. Es roch herrlich nach
frisch gemähten Gras. Die Maschine, mit der Bauer Martens das Gras
gewendet hatte, stand auf der Wiese, bereit für den nächsten
Einsatz. Umrisse mehrere Kühe tauchten im grausilbrigen Mondlicht
auf. Sie standen widerkäuend umeinander herum und stierten in die
Nacht.
Ulf blieb stehen und
pflückte Löwenzahn vom Grabenrand. Lockend rief er die am Zaun
stehende Kuh und bot ihr den vermeintlichen Leckerbissen an. Sie
starrte nur mit großen Augen und weigerte sich, auch nur einen
Schritt in seine Richtung zu gehen. Dumpf ließ sie es zu, daß Ulf
sie an den Kopf faßte. Plötzlich riß sie das Maul auf und stieß
ein lang anhaltendes „Muh“ in die Nacht.
Bedächtig näherten
sich zwei Kühe. Sie blieben vor ihm stehen und glotzten. „Könnt
ihr noch was anderes als glotzen? Denn nicht.“ lachte er, als er
merkte, daß von den Kühen keine andere Reaktion kam und hob grüßend
zwei Finger an die Stirn. Flink sprang er über den Graben auf den
Weg zurück.
Amüsiert blickte er
noch einmal auf die Kuhidylle zurück und sah gerade noch, wie eine
Kuh einen Fladen fallen ließ. „Wenn das alles ist, was ihr zur
Unterhaltung beitragt, dann will ich nie wieder etwas mit euch zu tun
haben.“ lachte er und schritt zügig aus.
Das Naturbild rechts
und links des Weges, änderte sich ständig. Wiesen wechselten mit
Roggen- und anderen Feldern und eingegrenzt wurde alles von dichten
Knicks, die aus gestutzten Weiden und den verschiedensten Büschen,
bestanden. Irgendwann führte der Weg durch ein Sumpfgebiet.
Nachdem er das
Sumpfgebiet erreicht hatte, wurde ihm unheimlich. Zurückblickend
wußte er hinter den Knick Reihen Felder und Wiesen, die ihm nichts
anhaben konnten, aber dort im Sumpfgebiet, wo jeder Tümpel
unergründlich tief zu sein schien, dort wurde ihm kalt auf dem
Rücken. Die schwarzen Wassertümpel glitzerten im Mondlicht.
Vereinzelt zogen kleine Wolkenfelder am Himmel entlang und spiegelten
sich in den Wasserflächen. Das Wasser kräuselte sich leicht. Ulf
hörte plumpsende Geräusche. Wasserringe breiteten sich über der
Wasseroberfläche aus.
„Na, das
werden Frösche gewesen sein.“ beruhigte er sich selber. Doch dann
drängte sich seine Phantasie in den Vordergrund. „Und wenn das nun
Wassernixen gewesen sind, die auf ein Opfer warten, welches sich
über den Tümpelrand beugt und das sie nach unten ziehen können?“
Er schüttelte sich und
schalt sich einen Narren, dem die Phantasie bei ein paar Fröschen
durchgeht. „So,“ sagte die Phantasie, „du meinst ich
beeinflusse dich negativ und es gibt in Wirklichkeit keine Nixen?
Hast du noch nie welche in weißen Gewändern gesehen, mit langen
blonden Haaren, die auf der Laute spielen und dazu singen? Hast du
noch nie die schwermütigen Tonfolgen der Sumpfgeister gehört, die
nur darauf warten, daß sich ein Mensch in das Moor verirrt, damit
sie ihn ins dunkle Moorwasser ziehen können?
Natürlich glaubst du
nicht daran, denn du stammst ja aus einer aufgeklärten Zivilisation.
Aber, wenn die denn schon nicht daran glaubst, warum rennst du denn
so, um hier wegzukommen?“
Tatsächlich beeilte
sich Ulf, den schaurigen Sumpf hinter sich zu lassen. Er beeilte sich
so sehr, daß er nicht die hübschen Büschel des Wollgrases sah,
deren weiße Wollkapseln im Mondlicht leuchteten. Er bemerkte auch
nicht den erdigen, modrigen Geruch, der den Tümpeln entströmte.
Auch das Birkenwäldchen beachtete er nicht und den vier Hasen, die
er mit seinem eiligen Schritt aus der Ruhe aufschreckte, schenkte er
keine Beachtung. Als dann noch ein Käuzchen schrie, glaubte er den
kühlen Hauch eines Geistwesen über sich zu spüren. Er lief die
letzten Meter zum schützenden Wald.
Im Wald tat er gut
daran, die Taschenlampe zu nutzen. Dichte Baumwipfel ließen das
fahle Mondlicht nicht durch. Er betrat einen ausgefahrenen Weg, auf
dem die Waldarbeiter geschlagene Baumstämme transportiert hatten.
Den Wald erlebte Ulf wie ein eindrucksvolles, lebendes Bild. Leise,
mit angenehmen Raunen, huschte der Wind durch die Wipfel. Sein Hauch
brach sich an Tannennadeln und Blättern. Unten am Boden spürte er
nichts vom Wind. Er fühlte sich geschützt vom Blätterdach der
Eichen und den Nadeln der Fichten, wie unter einer Glocke.
Die Naturelemente
spielten weit über ihm ihr windiges Spiel. Das Gefühl der
Geborgenheit und Sicherheit kam auf. Es roch würzig und erdig
zugleich. Der Duft von Pilzen vermischte sich mit Waldhimbeer Geruch.
Zweige knackten unter seinen Füßen und es platschte, wenn er mit
unvorsichtigem Schritt in eine Wasserlache trat. Die Au, die in
unmittelbarer Nähe ihrem Wasserbett folgte, plätscherte eine
beruhigende Melodie. Jeder Stein, der sich dem Wasser in den Weg
stellte, gab seinen Teil dazu bei, die Bachmelodie möglich zu
machen. Das Rascheln der Vorjahresblätter, die durch seine tastenden
Schritte aufgestöbert wurden, rundete das harmonische Bild ab.
Ulf setzte sich an den
Bachrand und schaute auf das kräuselige, vom Mondlicht beschienene
Wasser. Es übte eine hypnotisierende Wirkung auf ihn aus. Er versank
in sich, in seine Gedanken hinein. Belastendes erschien vor seinem
geistigen Auge. Es quälte ihn.
Langsam begann er seine
Probleme auszusprechen und er bildete sich ein, daß der Bach die
Worte in unbekannte Ferne mitnehmen würde. Jedes ausgesprochene Wort
erleichterte ihn und seine Seele begann sich, geleert vom seelischen
Müll, wieder aufzurichten.
Leicht benommen kam Ulf
zu sich, als er sich bei dem Bach bedankte, daß er ihm die Sorgen
abgenommen und ihn reingewaschen hatte. Er empfand es nicht als
albern „Danke“ zu sagen, für die genossenen Therapie. Danke? An
wen war der Dank gerichtet? An den Bach? An die Natur? Einen Gott?
Nachdenklich ging er weiter.
Freudig trat er aus dem
Wald hinaus auf eine kleine Lichtung, die an einen kahlen,
abgeholzten Abhang grenzte. Er kannte diesen Platz und wußte, daß
er von dort eine gute Sicht in die Landschaft hatte, die bei der
Dunkelheit nur begrenzt und schemenhaft zu sehen war. Suchend blickte
er sich nach einem Rastplatz um und fand ihn an einem Baumstumpf, vor
dem eine leichte körperpaßform gerechte Vertiefung sein Gesäß
aufnahm und ihm das Gefühl eines fast komfortablen Sessels
vermittelte. Er freute sich, daß er sein Bündel aufschnüren und
den Hunger stillen konnte.
Stilvoll breitete er
ein buntes Tuch neben sich aus und stellte die Thermoskanne mit
Kaffee darauf. Dann folgten aus des Rucksacks Tiefe, ein Apfel und
zwei Tomaten. Auch ein Stapel beschmierter Brote fand sich und ein
Salzfaß.
Er fühlte sich wohl
und lehnte sich genußvoll zurück. Müde schloß er die Augen. In
seinem Kopf begann es zu summen und zu knacken, wie wenn sich die
restliche Alltagsspannung, die nach der Meditation am Bach noch übrig
war, auflösten. Auch Sorgen, diffuse Sorgen, die sich nach dem
gleichen Muster immer wiederholten, nicht greifbar waren, aber doch
aushöhlend wirkten, flachten ab. Mit jedem Atemzug entließ er
negatives in die Luft und atmete befreiende, würzige, durch nichts
belastete Waldluft ein. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und
gab sich der suggestiven, entspannenden Stimmung hin.
Als Ulf wenig später
aufwachte, glaubte er auf ein dunkles, tausendfach zerlöchertes Tuch
zu schauen, welches an den durchlöcherten Stellen blauweißes Licht
durchließ. Einige, wenige Wolken zogen über den Himmel. Sie hoben
sich silbern, vom Mond angestrahlt, kontrastreich vom dunklen Himmel
ab. Sein Blick ging ins Tal. Ein schmaler Bach war zu sehen. Er zog
sich wie ein Silberfaden, vom Mondlicht angestrahlt, schlangengleich
durchs Land. Nur hier und da stand ein Baum am Ufer und unterbrach
den Blick auf den silbernen Lauf.
Hinter einem Hügel
tauchte ein Zug auf. Spielzeugklein erschien er von dort oben. Die
Lokomotive, eine qualmende Dampfmaschine, schickte ihre mit
Kohlengruß und Wasser vermischte Fahne über die wenigen Waggons
hinweg. Eine Weile blieb der Rauch in der Luft stehen und waberte
dann auf die Wiesen hinab. Die beleuchteten Waggons zogen sich wie
eine Lichtleiste durch die Nacht. An einem beschrankten Bahnübergang
beleuchtete sie kurzzeitig ein Auto, welches auf das Öffnen der
Schranken wartete.
Hinter dem Zug hoben
sich die Schranken und der Wagen setzte sich, seine Scheinwerfer wie
Späher vorausschickend, in Bewegung. Das Brummen des Motors wurde
leiser und leiser, bis es ganz erstarb. Die Naturstille, unterbrochen
von zwei Fahrzeugen der Zivilisation, kehrte wieder ein.
Die schwarzen,
schwachkonturigen Baumwipfel verloren allmählich ihre nächtliche
Form und erschienen nach und nach, als Ganzes, in einem leichten
Grauton, im heraufziehenden Morgen. Mehr und mehr verblaßte das Grau
und das farbige Tageskleid der Natur wurde sichtbar. Die
Kontrastreichen Birken erschienen zuerst.
Im Laub hinter ihm
raschelte es. Er drehte sich um und beobachtete einen Igel, der das
Laub nach Käfern und Larven durchwühlte. Vögel gaben Laute von
sich und begrüßten den jungen Morgen und dann brach mit Urgewalt
der Tag hervor.
Golden erhob sich die
Sonne über die vernebelten Felder und schickten ihre wärmenden
Strahlen in jeden Winkel der Natur. Grashalme richteten sich auf, von
der Sonne trocken geküßt. Bäume hielten der Sonne ihre Blätter
entgegen und tankten ihre Kraft. Die Landschaft, welche in der Nacht
flach und schemenhaft vor Ulf lag, erschien nun plastisch und
ausdrucksvoll. Eine Landstraße tauchte aus dem Dunst auf, eine
herrliche Allee und die Bahntrasse erschien und auch die weißrote
Schranke, an der in der Nacht das Auto gehalten hatte, lag in
Spielzeuggröße mitten in der grünen Landschaft. Die Glocken einer
nahen Kirche läuteten. Ein Bauer tuckerte mit seinem Trecker durch
das Bild, welches die Landschaft abgab. Kühe muhten dem Bauer
entgegen.
Müde war er, als er
sich auf den Heimweg begab. Trotzdem erfüllte ihn ein bisher
ungekanntes Glücksgefühl. Mit weit ausholenden Schritten ging er
dem Haltepunkt Wakenmoor zu. Er war der einzige Fahrgast, der zu so
früher Stunde den Triebwagen bestieg. Er blickte auf den Haltepunkt
zurück, der in der Ferne kleiner und kleiner wurde, bis er nach
einer leichten Kurve, ganz aus seinem Blickfeld verschwand.
Edgar Schulz
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