15.09.2010

Gefunden

...ich mach doch mehrere Blogeinträge... sonst sieht das am Ende zu durcheinander aus... =)


..Ich fand die Geschichte total schön, und konnte mich für ein paar Minuten wegträumen...ist zwar etwas lang, aber wenn du etwas Zeit hast, musst sie unbedingt lesen - jedenfalls richtig schön wie der Autor schreibt - mag ich... =)

Die Nacht zeigt ihre Reize.

Rumpelnd hielt der rote Schienenbus am Haltepunkt Wakenmoor. Zischend öffnete sich die hintere Tür. Der Lichtschein aus dem Inneren des Wagens fiel auf den Schotter des Haltepunktes und beleuchtete ein paar Grasbüschel, die den Kampf, gegen den rauhen Belag des dunklen Schotters, aufgenommen hatten. Zaghaft setzte sich hier die Natur gegen einen von Menschenhand befestigten Untergrund durch. Ein junger Mann stieg aus. Einen Augenblick blieb er stehen um die Augen an die diffuse Helligkeit zu gewöhnen, die durch die schwache Birne einer einsam stehenden Lampe verursacht wurde.

Die Wagentür schloß sich hinter ihm. Der schwer arbeitende Dieselmotor setzte den Triebwagen in Bewegung. Mit anhaltendem Läuten überquerte er den Schienenübergang, der das Gehöft des Bauern Martens, mit seinen verstreut liegenden Feldern verbindet. Die beiden rot leuchtenden Rücklichter wurden schwächer und schwächer und verschwanden in einer Rechtskurve, eines nach dem anderen.

Es kehrte Stille ein. Absolute Stille. Ulf, der Mann aus dem Triebwagen, blieb stehen und genoß ganz bewußt die Ruhe. Nach dem Geschaukel in dem Triebwagen und den lauten Motorgeräuschen, war dieser Moment eine Wohltat. Das war es, was er in dieser Nacht suchte, nämlich, Ruhe, Entspannung und Empfindungen, die er in der Stadt nicht kennenlernen konnte, weil es sie dort nicht mehr gab, weil die Natur in der Stadt auf wenige laute Parkanlagen, Grünstreifen oder Balkonkästen reduziert war. Er hoffte, daß die Natur ihm ihre Reize zeigt. Nun, nachdem der Zug im Dunkel verschwunden war, glaubte er sich losgelöst von der Zivilisation und fühlte sich eingebettet in die alles umhüllende Nacht.

Die Lampe, die eben noch den Haltepunkt ausleuchtete, verlosch. Ulf nahm den Rucksack auf und schulterte ihn über. Zielstrebig überquerte er den kleinen Platz, der sich hinter dem Haltepunkt ausbreitete. Er bog nach rechts auf den Weg, der ihn in einem großzügig abgesteckten Radius durch die Nacht begleiten sollte. Am nächsten Morgen, kurz nach Sonnenaufgang wollte er wieder am Haltepunkt eintreffen.

Eine Weile führte der Weg zwischen abgemähten Wiesen hindurch. Es roch herrlich nach frisch gemähten Gras. Die Maschine, mit der Bauer Martens das Gras gewendet hatte, stand auf der Wiese, bereit für den nächsten Einsatz. Umrisse mehrere Kühe tauchten im grausilbrigen Mondlicht auf. Sie standen widerkäuend umeinander herum und stierten in die Nacht.

Ulf blieb stehen und pflückte Löwenzahn vom Grabenrand. Lockend rief er die am Zaun stehende Kuh und bot ihr den vermeintlichen Leckerbissen an. Sie starrte nur mit großen Augen und weigerte sich, auch nur einen Schritt in seine Richtung zu gehen. Dumpf ließ sie es zu, daß Ulf sie an den Kopf faßte. Plötzlich riß sie das Maul auf und stieß ein lang anhaltendes „Muh“ in die Nacht.

Bedächtig näherten sich zwei Kühe. Sie blieben vor ihm stehen und glotzten. „Könnt ihr noch was anderes als glotzen? Denn nicht.“ lachte er, als er merkte, daß von den Kühen keine andere Reaktion kam und hob grüßend zwei Finger an die Stirn. Flink sprang er über den Graben auf den Weg zurück.

Amüsiert blickte er noch einmal auf die Kuhidylle zurück und sah gerade noch, wie eine Kuh einen Fladen fallen ließ. „Wenn das alles ist, was ihr zur Unterhaltung beitragt, dann will ich nie wieder etwas mit euch zu tun haben.“ lachte er und schritt zügig aus.

Das Naturbild rechts und links des Weges, änderte sich ständig. Wiesen wechselten mit Roggen- und anderen Feldern und eingegrenzt wurde alles von dichten Knicks, die aus gestutzten Weiden und den verschiedensten Büschen, bestanden. Irgendwann führte der Weg durch ein Sumpfgebiet.

Nachdem er das Sumpfgebiet erreicht hatte, wurde ihm unheimlich. Zurückblickend wußte er hinter den Knick Reihen Felder und Wiesen, die ihm nichts anhaben konnten, aber dort im Sumpfgebiet, wo jeder Tümpel unergründlich tief zu sein schien, dort wurde ihm kalt auf dem Rücken. Die schwarzen Wassertümpel glitzerten im Mondlicht. Vereinzelt zogen kleine Wolkenfelder am Himmel entlang und spiegelten sich in den Wasserflächen. Das Wasser kräuselte sich leicht. Ulf hörte plumpsende Geräusche. Wasserringe breiteten sich über der Wasseroberfläche aus.

„Na, das werden Frösche gewesen sein.“ beruhigte er sich selber. Doch dann drängte sich seine Phantasie in den Vordergrund. „Und wenn das nun Wassernixen gewesen sind, die auf ein Opfer warten, welches sich über den Tümpelrand beugt und das sie nach unten ziehen können?“

Er schüttelte sich und schalt sich einen Narren, dem die Phantasie bei ein paar Fröschen durchgeht. „So,“ sagte die Phantasie, „du meinst ich beeinflusse dich negativ und es gibt in Wirklichkeit keine Nixen? Hast du noch nie welche in weißen Gewändern gesehen, mit langen blonden Haaren, die auf der Laute spielen und dazu singen? Hast du noch nie die schwermütigen Tonfolgen der Sumpfgeister gehört, die nur darauf warten, daß sich ein Mensch in das Moor verirrt, damit sie ihn ins dunkle Moorwasser ziehen können?

Natürlich glaubst du nicht daran, denn du stammst ja aus einer aufgeklärten Zivilisation. Aber, wenn die denn schon nicht daran glaubst, warum rennst du denn so, um hier wegzukommen?“

Tatsächlich beeilte sich Ulf, den schaurigen Sumpf hinter sich zu lassen. Er beeilte sich so sehr, daß er nicht die hübschen Büschel des Wollgrases sah, deren weiße Wollkapseln im Mondlicht leuchteten. Er bemerkte auch nicht den erdigen, modrigen Geruch, der den Tümpeln entströmte. Auch das Birkenwäldchen beachtete er nicht und den vier Hasen, die er mit seinem eiligen Schritt aus der Ruhe aufschreckte, schenkte er keine Beachtung. Als dann noch ein Käuzchen schrie, glaubte er den kühlen Hauch eines Geistwesen über sich zu spüren. Er lief die letzten Meter zum schützenden Wald.

Im Wald tat er gut daran, die Taschenlampe zu nutzen. Dichte Baumwipfel ließen das fahle Mondlicht nicht durch. Er betrat einen ausgefahrenen Weg, auf dem die Waldarbeiter geschlagene Baumstämme transportiert hatten. Den Wald erlebte Ulf wie ein eindrucksvolles, lebendes Bild. Leise, mit angenehmen Raunen, huschte der Wind durch die Wipfel. Sein Hauch brach sich an Tannennadeln und Blättern. Unten am Boden spürte er nichts vom Wind. Er fühlte sich geschützt vom Blätterdach der Eichen und den Nadeln der Fichten, wie unter einer Glocke.

Die Naturelemente spielten weit über ihm ihr windiges Spiel. Das Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit kam auf. Es roch würzig und erdig zugleich. Der Duft von Pilzen vermischte sich mit Waldhimbeer Geruch. Zweige knackten unter seinen Füßen und es platschte, wenn er mit unvorsichtigem Schritt in eine Wasserlache trat. Die Au, die in unmittelbarer Nähe ihrem Wasserbett folgte, plätscherte eine beruhigende Melodie. Jeder Stein, der sich dem Wasser in den Weg stellte, gab seinen Teil dazu bei, die Bachmelodie möglich zu machen. Das Rascheln der Vorjahresblätter, die durch seine tastenden Schritte aufgestöbert wurden, rundete das harmonische Bild ab.

Ulf setzte sich an den Bachrand und schaute auf das kräuselige, vom Mondlicht beschienene Wasser. Es übte eine hypnotisierende Wirkung auf ihn aus. Er versank in sich, in seine Gedanken hinein. Belastendes erschien vor seinem geistigen Auge. Es quälte ihn.

Langsam begann er seine Probleme auszusprechen und er bildete sich ein, daß der Bach die Worte in unbekannte Ferne mitnehmen würde. Jedes ausgesprochene Wort erleichterte ihn und seine Seele begann sich, geleert vom seelischen Müll, wieder aufzurichten.

Leicht benommen kam Ulf zu sich, als er sich bei dem Bach bedankte, daß er ihm die Sorgen abgenommen und ihn reingewaschen hatte. Er empfand es nicht als albern „Danke“ zu sagen, für die genossenen Therapie. Danke? An wen war der Dank gerichtet? An den Bach? An die Natur? Einen Gott? Nachdenklich ging er weiter.

Freudig trat er aus dem Wald hinaus auf eine kleine Lichtung, die an einen kahlen, abgeholzten Abhang grenzte. Er kannte diesen Platz und wußte, daß er von dort eine gute Sicht in die Landschaft hatte, die bei der Dunkelheit nur begrenzt und schemenhaft zu sehen war. Suchend blickte er sich nach einem Rastplatz um und fand ihn an einem Baumstumpf, vor dem eine leichte körperpaßform gerechte Vertiefung sein Gesäß aufnahm und ihm das Gefühl eines fast komfortablen Sessels vermittelte. Er freute sich, daß er sein Bündel aufschnüren und den Hunger stillen konnte.

Stilvoll breitete er ein buntes Tuch neben sich aus und stellte die Thermoskanne mit Kaffee darauf. Dann folgten aus des Rucksacks Tiefe, ein Apfel und zwei Tomaten. Auch ein Stapel beschmierter Brote fand sich und ein Salzfaß.

Er fühlte sich wohl und lehnte sich genußvoll zurück. Müde schloß er die Augen. In seinem Kopf begann es zu summen und zu knacken, wie wenn sich die restliche Alltagsspannung, die nach der Meditation am Bach noch übrig war, auflösten. Auch Sorgen, diffuse Sorgen, die sich nach dem gleichen Muster immer wiederholten, nicht greifbar waren, aber doch aushöhlend wirkten, flachten ab. Mit jedem Atemzug entließ er negatives in die Luft und atmete befreiende, würzige, durch nichts belastete Waldluft ein. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und gab sich der suggestiven, entspannenden Stimmung hin.

Als Ulf wenig später aufwachte, glaubte er auf ein dunkles, tausendfach zerlöchertes Tuch zu schauen, welches an den durchlöcherten Stellen blauweißes Licht durchließ. Einige, wenige Wolken zogen über den Himmel. Sie hoben sich silbern, vom Mond angestrahlt, kontrastreich vom dunklen Himmel ab. Sein Blick ging ins Tal. Ein schmaler Bach war zu sehen. Er zog sich wie ein Silberfaden, vom Mondlicht angestrahlt, schlangengleich durchs Land. Nur hier und da stand ein Baum am Ufer und unterbrach den Blick auf den silbernen Lauf.

Hinter einem Hügel tauchte ein Zug auf. Spielzeugklein erschien er von dort oben. Die Lokomotive, eine qualmende Dampfmaschine, schickte ihre mit Kohlengruß und Wasser vermischte Fahne über die wenigen Waggons hinweg. Eine Weile blieb der Rauch in der Luft stehen und waberte dann auf die Wiesen hinab. Die beleuchteten Waggons zogen sich wie eine Lichtleiste durch die Nacht. An einem beschrankten Bahnübergang beleuchtete sie kurzzeitig ein Auto, welches auf das Öffnen der Schranken wartete.

Hinter dem Zug hoben sich die Schranken und der Wagen setzte sich, seine Scheinwerfer wie Späher vorausschickend, in Bewegung. Das Brummen des Motors wurde leiser und leiser, bis es ganz erstarb. Die Naturstille, unterbrochen von zwei Fahrzeugen der Zivilisation, kehrte wieder ein.

Die schwarzen, schwachkonturigen Baumwipfel verloren allmählich ihre nächtliche Form und erschienen nach und nach, als Ganzes, in einem leichten Grauton, im heraufziehenden Morgen. Mehr und mehr verblaßte das Grau und das farbige Tageskleid der Natur wurde sichtbar. Die Kontrastreichen Birken erschienen zuerst.

Im Laub hinter ihm raschelte es. Er drehte sich um und beobachtete einen Igel, der das Laub nach Käfern und Larven durchwühlte. Vögel gaben Laute von sich und begrüßten den jungen Morgen und dann brach mit Urgewalt der Tag hervor.

Golden erhob sich die Sonne über die vernebelten Felder und schickten ihre wärmenden Strahlen in jeden Winkel der Natur. Grashalme richteten sich auf, von der Sonne trocken geküßt. Bäume hielten der Sonne ihre Blätter entgegen und tankten ihre Kraft. Die Landschaft, welche in der Nacht flach und schemenhaft vor Ulf lag, erschien nun plastisch und ausdrucksvoll. Eine Landstraße tauchte aus dem Dunst auf, eine herrliche Allee und die Bahntrasse erschien und auch die weißrote Schranke, an der in der Nacht das Auto gehalten hatte, lag in Spielzeuggröße mitten in der grünen Landschaft. Die Glocken einer nahen Kirche läuteten. Ein Bauer tuckerte mit seinem Trecker durch das Bild, welches die Landschaft abgab. Kühe muhten dem Bauer entgegen.

Müde war er, als er sich auf den Heimweg begab. Trotzdem erfüllte ihn ein bisher ungekanntes Glücksgefühl. Mit weit ausholenden Schritten ging er dem Haltepunkt Wakenmoor zu. Er war der einzige Fahrgast, der zu so früher Stunde den Triebwagen bestieg. Er blickte auf den Haltepunkt zurück, der in der Ferne kleiner und kleiner wurde, bis er nach einer leichten Kurve, ganz aus seinem Blickfeld verschwand.

Edgar Schulz

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